B.13
30.3.2025 – Brief an den Leser
Der Romanerzähler möchte dringend mit der Erzählung fortfahren, und zwar romangemäß, schön der Reihe nach. Er denkt an den Leser und an die Erwartung, die er von sich selbst als Romanleser kennt: Wie geht’s weiter? Man will ja begreifen, was da vor sich geht; was da Geschichte ist und wird. Und es ist ja kostbar, was man investiert: Interesse.
Ich sage: an den Leser und meine das konkret (wie alles in diesem Werk konkret und nicht abstrakt gemeint ist). Mögen es auch mehr als drei sein, die dieses lesen – zwei zumindest sind mir bekannt, plus eine Leserin; und mögen sie auch gleichermaßen hier angesprochen sein – an einen dieser Drei wende ich mich insbesondere: nämlich an Dich, lieber Jürgen Bergmann, der Du, als wir vor einiger Zeit telefonierten, beklagtest, dass ich in Schells Bureau so lange nichts Neues mehr veröffentlicht habe. Denn Du hättest alles Bisherige endlich gelesen und nun verstanden, was da läuft; daher Du wissen möchtest, wie’s weitergeht. Und das, in eben dem Maße wie es mich freut, verpflichtet mich. Nur ist es hier ja so, dass ich nicht schreibe, was ich will, nicht einfach nach Belieben, sondern dass ich forsche, und auch Forschung nun mal gesetzmäßig verläuft, das heisst ihr Timing hat und eine ihr eigene, sagen wir, „Magie“.
Daher dieses Kapitel so: als Brief an Dich, mein Freund, der Du weiterzulesen wünscht.
Daher hier ganz auf meta und real: am 30. 3. 2025
Dass heute auch im Roman das Heute ist – ist das Zufall? Oder Magie? Eine Art Beweis?
Ich lese zur Zeit wieder mal Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, und darin heute, wie er anführt, was er an der Leibniz’schen Philosophie als „eine der erfreulichsten Seiten“ bezeichnet: Ich habe gefunden, sagt Leibniz, dass die in der Natur wirklich nachzuweisenden Gesetze doch nicht absolut demonstrabel sind, was aber auch nicht notwendig ist. Zwar können sie auf verschiedene Art bewiesen werden; aber immer muss etwas vorausgesetzt werden, das nicht ganz geometrisch notwendig ist. Daher sind diese Gesetze der Beweis eines höchsten, intelligenten und freien Wesens gegen das System absoluter Notwendigkeit. Sie sind weder ganz notwendig (in jenem abstrakten Verstande), noch ganz willkürlich, sondern stehen in der Mitte als Gesetze, die von einer über alles vollkommenen Weisheit abstammen.
Und da frage ich mich, quasi a propos „Beweis“, was wohl herauskäme, wenn ich mir „Autor“ wortwörtlich übersetzen würde – und unterlasse das wohlweislich; gehe lieber über:
Es ist, so erinnere ich mich, einmal gewesen, als ich doppelt unterwegs war, auf ausgedehnter Reise, ägyptologisch mit Professor Pentshak einerseits, andererseits mit Forty Operas im Service of Intelligence; nämlich als ich von diesem wie von jenem in die Bilokation eingeführt wurde: die Kunst, an zwei Orten gleichzeitig bewusst anwesend zu sein.
Wohin die Reise führen sollte, war mir, wie üblich, vorher nicht bekannt. Den Professor darüber zu befragen, wäre vergeblich gewesen, wie ich wusste; und Frau Kramer alias „Das Sekretariat“ konnte oder wollte mir nicht mehr verraten, als dass der Ort „Akala oder so ähnlich“ hiess und garantiert auf keiner offiziellen Landkarte zu finden sei, und dass ich dort wohl sicherlich keine erotischen Versuchungen zu befürchten hätte.
Dann – und daran erkannte ich, dass wir nun kurz vor Ort sein mussten – irgendwo in einer leeren staubigen Gegend Innerasiens, in einem Überland-Bus auf holpriger Piste – kam der Professor wie beiläufig auf Magie zu sprechen und es stellte sich heraus, dass er als Referent zu einem Magier-Kongress eingeladen war.
Ich hatte mich schnell wieder gefasst … „Wen nennen wir denn Magier?“
„Na, Leute, die im klassischen Sinne – unauffällig – Magie treiben.“
„Doch Sie – Sie referieren solchen Leuten?“
„Und zwar zum Thema Bilokation. Wozu ich meinen Assistenten brauche – Dich. Konkret und vor Ort. Du kannst es auch so sehen: Dass dieser Kongress nur für dich veranstaltet wird – zu deiner Information.“
Und da konnte ich nicht widerstehen, da musste ich ihn provozieren: „Sie glauben doch wohl nicht an Magie, Professor!?“
„Nun ja, wenn es denn eine Sache des Glaubens wäre.“
„Das heisst – Sie glauben an Magie?“
„So wie du fragst, glaubst du mal wieder in üblicher Weise, dass Glauben Nicht-Wissen sei.“
„Ich weiss, ich weiss! – Glauben ist ja auch Nicht-Wissen, nur eben nicht das Gegenteil von Wissen – viel mehr als Wissen –; nicht Fürwahrhalten, wie im üblichen Sinne, sondern wie ursprünglich gemeint: Zutrauen, Zuversicht – das haben Sie mir doch schon erklärt!“
„Dann ist ja gut.“
„Ich meinte: dass es sie gibt – Magie –, ob Sie das glauben. Und offenbar glauben Sie das.“
„Schön. Du antwortest dir selbst. Brauchst du mich noch?“
„Ach kommen Sie, Professor … Es geht doch darum: Was ist Magie?“
„Jedenfalls nicht: glauben zu wissen; vielmehr: wissen zu glauben – und das nur nicht für Wortspielerei zu halten.“
„Das soll Magie sein? Sie sehen mich etwas enttäuscht. Aber schon klar: Enttäuschung ist ja immer gut. Doch einfach wissen zu glauben sei Magie – das ist sehr enttäuschend.“
„Das war spontan gesprochen. Konkret. Im Kontext. Anders über Magie zu sprechen – wie auch über Geist oder über das Denken – ist sinnlos. Sie geschieht – wie auch Geist: er geschieht, oder das Denken: es geschieht. Sobald ich solches per Definition fixiere, also sage: Magie ist – dieses oder jenes –, ist es damit auch schon vorbei.“
„So wie shit? – ja nicht ist, sonder happens?“
„Meinetwegen. In puncto Trivialisierung bist du immerhin schon Meister.“
„Nur dass es auch auf diesem Wege mir noch nicht gelungen ist, Ihnen auch nur ein winzigstes Lächeln abzuringen.“
„Warum dir das immernoch so ein wichtiges Anliegen ist, wäre vielleicht mal eine Meditation wert. Denn du weisst doch wohl, weshalb ich mich jeglicher Belustigung enthalte.“
„Glaube ich zu wissen, ja. Und das hat wohl auch irgendwie mit Magie zu tun?“
„O ja. Nichts, was nichts mit Magie zu tun hat. Doch genug des Geplänkels, jetzt hör mal zu, und zwar richtig.“
Und ich wusste, was er hier anzeigte: die Wichtigkeit der Richtigkeit. Die Gewichtung der Richtung. Vergiss, wer hier spricht, wer hier zuhört, und dass gesprochen, dass zugehört wird. Erhöre und gehöre – zugleich. Und mehr noch: Horche und gehorche! – Ja, Meister. So wie ich höre, wenn ich in Dantes Commedia lese – – Hör endlich auf zu quasseln. Hör auf, den Meister zu hören. Höre!
Verstanden. Ich will ja. Aber –. Wieder einmal, immer noch, fiel’s mir so schwer, dieses Gehorche. Noch immer vernahm ich seine, des Professors Stimme:
„Die meiner Erfahrung nach einzig brauchbare Definition von Magie ist diese: mistaking an ideal connexion for a real one. Sie stammt von einem der Pioniere der angelsächsischen Kulturanthropologie, der als Kind seiner Zeit – des 19. Jahrhun-derts, als der Materialismus noch Philosophie und noch so vielversprechend war – die Gleichsetzung ideeller und reeller Verbindungen als mistaking empfand, als irrtümliche Verwechslung. Man lasse aber nur das mis- weg und sage taking an ideal connexion for a real one, dann hat jener Gelehrte mit dieser Magie-Definition schlicht das hermetische Analogie-Prinzip erfasst: Wie oben, so unten.“
Und nun endlich – und wie immer plötzlich, das heisst wie schon wieder vorbei – das Zugleich: ist es geschehen – gehöre ich – und geschieht es – höre ich –: geschieht und ist Geschehen – ist, wie es, von esse – zugleich, will sagen: analog –: ein Geschehen, das geschieht. – Und was durchläuft hier Scheidung?
Magie und göttliche Magie. Von dieser jene sich scheidet; im Verstehen, jetzt und hier: Dass nicht schwarze contra eine weisse Magie den wahren Gegensatz bildet, sondern die menschliche gegenüber der göttlichen Magie. Während diese überzeitlich, überräumlich – eben göttlich – ins Zeiträumliche einwirkt, kann menschliche Magie, wie auch immer erfolgreich vollführt als bewusste Manipulation im Bereich von Raum und Zeit, die eigentliche, die göttliche Magie nur imitieren. Damit aber imitiert sie etwas, das gar nicht imitierbar ist, und hat daher immer den Irrtum zur Folge.
„Du hast verstanden, nehme ich an. Wie du Magie in ganz anderem als dem üblichen Sinne ernst zu nehmen hast. Dass die Berechtigung, von schwarzer und weisser Magie zu reden, zwar besteht, aber ihre Grenzen hat. Und dass die Tätigkeit des Multi-Dimensionalen Operators dir eben nicht, wie du anscheinend immernoch argwöhnst, irgendwelche magischen Praktiken abverlangt.“
Als wenn nur das meine Befürchtung wäre … „Die Wahrheit ist die, Professor: Ich habe einfach Angst, dass ich’s als MDO nicht bringe.“
„Klar. Bleibt dir kein anderer Trost, als dir zu sagen: Zu spät. Du bist ja nun schon MDO. Insofern ist die Angst davor doch ziemlich überflüssig. Aber klar, auch Angst kann man sich angewöhnen, und entsprechend auch vor Angst-Entzug sich fürchten.“
Dieser Professor – Mann, o Mann! – Professor Pentshak – in Wahrheit Forty Operas – Professor immer nur, wenn ich Bent bin, Manes Bent – als Ägyptologe wieder mal Romanfigur spiele – o Mann, o Mann, hat der mal wieder – ja genau: die richtige Richtung – und darüber wundere ich mich noch? Das ist sein Metier, seine Mission in diesem komischen Real-Roman-Ding: die Gewichtung der Richtung – nichts anderes heisst MDO – letztlich – im Grunde – eigentlich – und das – dieses Metier, diese Mission – soll ich übernehmen? – ich? –. Doch wie ich’s auch drehe und wende: er liegt schon hinter mir, der point of no return.
Und dass mir nun dadurch das Rätsel der Geist-zu-Stoff-Verwandlung – der Fleischwerdung des Wortes –, sowie der Rückverwandlung des Stoffes wieder zu Geist, gar nicht mehr – weil in neuem Lichte – so rätselhaft erscheint – ist das Zufall? Oder notwendige Folge? Richtigkeit? Erkenntnisbeweis?
Es grüßt herzlich
Der Verfasser
Post scriptum
sei bemerkt, dass Rudolf Steiner am 30. März 1925: heute vor genau einhundert Jahren per Tod die Seiten wechselte.
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